Interview mit "David I" von Borland 18.05.2004, 00:00 Uhr

„Wir haben keine Angst, dass Microsoft uns schneidet“

David Intersimone, Spitzname „David I“, gehört zu den Urgesteinen von Borland. Achtzehneinhalb Jahre ist er in der Firma. Anlässlich des Verkaufsstarts von Delphi für .NET sprach dotnetpro mit ihm über die Chancen und Versäumnisse seiner Firma.
dotnetpro: Warum unterstützt Borland .NET mit Delphi?
David Intersimone: Borland hat es geschafft, sich an Gegebenheiten anzupassen. Vergleichbar ist das mit der Programmiersprache Basic. Basic erschien etwa um 1964. Damals war Fortran wesentlich verbreiteter. Den Durchbruch schaffte Basic nicht. Dann haben Bill Gates und Microsoft die Sprache modernisiert und zu einem Erfolg geführt. Auf ähnliche Weise haben wir das mit Turbo Pascal, Borland Pascal und Delphi gemacht. So war es nur natürlich, dass wir unsere Visual Component Library (VCL) nehmen und sie an .NET anpassen.
Wo sehen Sie die Vorteile von .NET?
Intersimone: Die größten Vorteile sind momentan bei den Web Forms zu finden. Vergleicht man ASP.NET mit der Vorgängertechnologie ASP, ist das ein riesiger Fortschritt. Windows Forms hingegen werden erst dann von großer Bedeutung sein, wenn alle User Interfaces Managed Interfaces sein werden. Das dürfte mit dem Nachfolger von Windows XP (Longhorn) geschehen. Ein weiterer Vorteil von .NET liegt darin, dass Entwickler den Code nicht neu schreiben müssen, wenn es 64-Bit-Rechner gibt oder wenn sie ihre Anwendung auf mobile Geräte zuschneiden wollen.
Sehen Sie .NET nicht eher als Bedrohung für Borland?
Intersimone:Microsoft arbeitet in so vielen Feldern: Betriebssysteme, Consumer-Anwendungen, Geschäftsanwendungen. Eine ganze Reihe an Bereichen. Sicher, ihre Entwicklungsumgebungen wurden immer besser, angefangen bei Visual C++ 2, VC 4 war besser und schließlich Visual Studio. Trotzdem setzt hier Borland immer noch einen drauf. Denken Sie nur an Modeling. Während Microsoft noch darüber nachdenkt, ob sie Modeling in ihre Entwicklungsumgebung einbauen sollen, bietet Borland mit „Together“ schon ein Produkt dafür an. Microsoft selbst ist froh, dass sie eine Alternative zu Rational anbieten können. Denn als IBM Rational kaufte, war Microsoft klar, dass IBM/Rational den Java-Weg oder sogar einen Anti-Microsoft-Weg beschreiten würde. Wir haben uns auf Entwickler und auf die Zusammenarbeit in Entwicklerteams konzentriert. Unsere Produkte decken den gesamten Entstehungsweg eines Programms ab, angefangen bei der Anforderungsaufnahme (Requirementsmanagement) bis hin zur Verteilung der Software (Deployment) unabhängig davon, ob der Verteilungsserver ein Enterprise-Java- Beans-Server (EJB) oder ein Windows Server 2003 ist.
Haben Delphi-Programmierer Vorteile gegenüber VB-Entwicklern, wenn sie auf .NET umsteigen?
Intersimone: Ja. Der Vorteil liegt in der objektorientierten Denkweise, die Delphi-Entwickler schon jetzt haben müssen. Delphi-Entwickler haben schon immer in Komponenten und Objekten gedacht und mit ihnen gearbeitet. Nicht wie unter Visual Basic. Hier haben die Entwickler bislang mit ActiveX-Objekten gearbeitet. Eine Erweiterung der Sprache aus sich selbst heraus war lange Zeit nicht möglich. Wer von VB6 auf Visual Basic .NET umsteigt, muss eine Menge dazulernen. Außerdem ist die Migration eines VBProjekts recht aufwändig. Wer hingegen eine VCL-Anwendung auf .NET migrieren will, muss nur wenig ändern. Hinzu kommt, dass Microsoft will, dass möglichst viele Programmierer und Firmen auf .NET umsteigen. So führten sie beispielsweise den Datentyp set ein. Keine Microsoft-Sprache hatte bislang diesen Datentyp. Das war ein Charakteristikum von Pascal. Microsoft will eben auch die Delphi-Programmierer auf NET bringen.
War es die richtige Entscheidung, schon jetzt mit Delphi für .NET auf NET zu setzen?
Intersimone: Ja, aus mehreren Gründen. Unsere Kunden haben jetzt schon .NET. Entwicklerprodukte müssen immer zeitlich voraus sein. Wir haben unsere Lektion gelernt, als wir beim 16-Bit-Windows zu spät kamen mit Delphi. Wenn Betriebssysteme im so genannten Field-Test-Stadium sind, müssen auch die Entwicklungsprodukte da sein. Sonst fragen sich die Entwickler, ob die Tools, die sie benötigen, zu dem Zeitpunkt verfügbar sein werden, wenn das Produkt verkauft wird. Trotzdem werden wir im ersten Halbjahr 2004 auch eine neue Version von Delphi für Win32 fertig stellen.
Werden Win32- und .NET-Version als unterschiedliche Produkte verkauft?
Intersimone: Delphi 8 wird beide Versionen enthalten: Delphi 7 und Delphi .NET.
Wie sehen Sie die Zukunft von Delphi für Win32?
Intersimone: Wir werden die Nachfrage beobachten. Momentan haben wir Namespaces, die wir für .NET implementieren mussten, auch den Win32-Entwicklern verfügbar gemacht. In der Tat sind sich die VCL und das .NET Framework sehr ähnlich. Ein Grund dafür liegt sicher in Anders Heijlsberg, der früher ein Chef-Entwickler bei Borland war. Er hat an .NET mitgearbeitet und C# maßgeblich beeinflusst. Es gibt nur wenige Arten, eine Abstraktionsebene über die Windows Controls zu stülpen. Und wenn man das einmal richtig gemacht hat, dann fällt es das nächste Mal ähnlich aus.
Wird Borland auch weiterhin andere Plattformen wie Java unterstützten?
Intersimone: Mit Janeva haben wir gerade eine Verbindung zwischen Java- und .NET-Welt geschaffen. Und so sehen wir die IT-Landschaft. Sie ist heterogen und wird auch so bleiben. Borland wird sich weiter danach richten, was seine Kunden benötigen. Und die Kunden wünschen sich eine Verbindung von allen Teilen ihrer IT-Infrasturktur. Und sie wünschen sich dabei die Hilfe von Borland. Auf der einen Seite gibt es die Serviceorientierte Welt. Microsoft wendet viel Zeit und Mühe für Indigo und die WSSpezifikationen auf. Auf der anderen Seite gibt es all die nativen, verteilten Objekte. Unsere Kunden wollen nicht immer einen Service auf so ein Objekt aufsetzen. Sicher, sie könnten es tun. Aber wir haben Kunden, die in Visibroker- oder Corba-Objekte investiert haben. Die wollen schlicht, dass all die Objekte zusammenarbeiten können. J2EE ist in vielen Bereichen .NET in der Welt der verteilten Objekte weit voraus. Das gilt beispielsweise für Transaktionen oder Sicherheit. Aber in ein paar Jahren wird Microsoft das aufgeholt haben. Plattformen sind das eine, Sprachen das andere. Auch hier bietet Borland die Vielfalt an. Wir begnügen uns nicht mit Delphi. Wenn Sie C# benutzen wollen, wir unterstützen es. Wenn es C++ sein soll, kein Problem. Das ANSI-C++-Komitee ist wieder zusammengekommen. Microsoft hat die managed extensions als neue Funktionen in der C++-Sprache vorgeschlagen, wir unser Eigenschaften-Methoden- Event-Modell. Das führt uns wenigstens zwei Jahre in die Zukunft.
Warum hat Borland TogetherSoft übernommen?
Intersimone: Unsere Kunden haben das quasi von uns gefordert. Sie wollten eine noch nahtlosere Zusammenarbeit zwischen Modeling und Entwicklung. Die Übernahme war der Abschluss einer Zusammenarbeit, die 1994 begonnen hatte. Damals hatte ich Peter Coad auf einer Entwicklerkonferenz getroffen. Ich brachte ihn mit Mitarbeitern von Borland zusammen. TogetherC++ war mit Borland C++ geschrieben, es sah aus wie Borland C++. Es lag also nahe, Modeling und Kompilierung eng miteinander zu verzahnen. Wir brachten daraufhin in 1995 das Produkt Borland C++ and Design Tools heraus, mit vollständigem Roundtrip- Engineering zwischen den zwei Programmen. Das war, bevor Rational in diesem Feld aktiv war. Dass der Schritt richtig war, lässt sich auch an einem Ausspruch von Bill Gates ablesen, der im Juli 2003 gesagt hat, dass Modeling und Entwicklung zusammenrücken werden. Microsoft hat zwar Visio für das Modeling, aber das ist eher ein Programm für den gelegentlichen Programmierer.
Produkte wie TogetherC++ legen den Verdacht nahe, Borland kümmere sich nur noch um große Teams...
Intersimone: Nein. Wir bieten Produkte für den gesamten Entwicklungszyklus eines Programms an. Dazu gehören auch unsere eigenen Entwicklungswerkzeuge. Nur so können wir kontrollieren, was passiert. Auch der einzelne Entwickler, der ja alle Rollen wie Architekt, Anforderungsmanager, Implementierer und Tester in einer Person vereinigt, wird von uns unterstützt und betreut.
Würde Borland einem neuen Kunden eher zu .NET oder zu Java raten?
Intersimone: Das hängt davon ab, welche IT-Infrastruktur schon vorhanden ist. Keine Firma ändert gerne die Infrastruktur, denn das ist teuer und fehleranfällig. Deshalb ermitteln wir erst einmal, was schon vorhanden ist, und ergänzen das unter Umständen mit zusätzlichen Komponenten. Beispielsweise setzen wir eine Schnittstelle auf eine Corba-Schicht, damit sie mit den anderen Modulen zusammenarbeiten kann. Wenn eine Firma viele Windows-Desktops hat, sollen sie auch weiterhin auf Windows setzen. Borland wird sie auch auf diesem Weg begleiten. Wir arbeiten nun schon seit der Gründung von Borland im Jahr 1983 mit Microsoft zusammen und wir haben keine Angst, dass Microsoft uns schneidet. Bei kleinen Kunden ist die Entscheidung zwischen .NET und Java etwas schwieriger, weil sie ihre Infrastruktur leichter ändern können.
Was war der schlimmste Fehler, den Borland gemacht hat?
Intersimone: Huu, das ist eine heftige Frage. Fehler würde ich ungern sagen, aber Gegebenheiten, von denen wir uns erholen mussten. Hier würde ich das späte Engagement für 16-Bit- Windows nennen. Wir haben uns davon erholt und auch daraus gelernt. Wir waren rechtzeitig zu Java und zu 32-Bit-Windows und mehr noch zu .NET mit Produkten da.
Und was war die größte Chance für Borland?
Intersimone: Oh, da gibt es viele. Wir sind gut Freund mit IBM und Oracle und Microsoft. Wir können den Kunden das bieten, was sie brauchen. Wir sind Entwickler, die für Entwickler Software schreiben. Wir verwenden unsere eigenen Produkte. Die Laufzeitbibliothek von Visual Basic 6 wurde mit C geschrieben. OCX- und VBX-Komponenten wurden in C/C++ geschrieben. Wir nutzen unsere eigenen Entwicklungswerkzeuge. Delphi wurde mit Delphi programmiert. |||||||

Das Interview führte Tilman Börner


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