Armin Grunwald, KIT
27.03.2020, 13:55 Uhr

Gesellschaftliche und technische Folgen der Krise

Armin Grunwald: "Wir brauchen Pläne B – und Technologien, die nicht alles auf eine Karte setzen."
Armin Grunwald ist Physiker und Philosoph. Am KIT leitet er das Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS). Als Leiter des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) in Berlin ist er seit vielen Jahren in der Politikberatung aktiv
(Quelle: Quelle: Wikipedia.org, Foto: Markus Breig)
Die Coronakrise hat Deutschland fest im Griff. Das Abstandhalten oder Social Distancing prägt unseren Alltag, privat wie beruflich. Digitale Technologien sind dabei eine große Hilfe, können analoge Kommunikation auf Dauer aber nicht ersetzen, sagt Armin Grunwald, Experte für Technikfolgenabschätzung am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Gleichzeitig gelte es, uns unsere Abhängigkeit von Technologien und Wirtschaftsprozessen stärker ins Gedächtnis zu rufen: "Wir brauchen Pläne B – und Technologien, die nicht alles auf eine Karte setzen." Zudem warnt Grunwald davor, das drängende Klimaproblem aus den Augen zu verlieren. Über diese und weitere Aspekte spricht der Physiker und Philosoph im folgenden Interview.

Digitale Kommunikationstechnologien unterstützen uns derzeit dabei, die Folgen der Krise abzufedern. Kann die Technik auch helfen, noch größere ökonomische und gesellschaftliche Verwerfungen zu verhindern?

Armin Grunwald: Die Digitalisierung hilft sehr, in der Krise vieles aufrechtzuerhalten, was analog zurzeit nicht geht: vom Homeoffice mit Videokonferenzen bis zum Schulunterricht oder universitären Lehrbetrieb von zu Hause aus. Allerdings ist Technik nicht alles. Sie macht den Verlust von Gemeinschaft und die soziale Isolierung für eine gewisse Zeit zwar leichter erträglich, bleibt aber doch nur ein Ersatz für echte menschliche Begegnung. Für manche Zwecke wie organisatorische Besprechungen ist sie ein sehr guter, für andere wie Gottesdienste oder Live-Konzerte eher ein fader Ersatz.

Wird sich unser Arbeitsleben auch über die Krise hinaus dauerhaft verändern?

Grunwald: Wir lernen unter dem aktuellen Zwang viel schneller, mit den digitalen Werkzeugen umzugehen. Wir lernen, analoge und digitale Formate in ihren jeweiligen Vor- und Nachteilen viel besser einzuschätzen. Das gilt für digitalen Unterricht genauso wie für berufliche Dinge oder auch private Kommunikation. Ich denke schon, dass wir mit dieser neu erworbenen oder stark vertieften Kompetenz bessere Kombinationen von analog und digital im Arbeitsleben auch auf Dauer behalten werden. Aber: Gerade komplexe inhaltliche Diskussionen funktionieren in der digitalen Ersatzkommunikation eher schlecht. So lebt unter anderem die Wissenschaft vom inhaltlichen Dialog, vom lebendigen Austausch, vom Brainstorming, von neuen Konstellationen, vom Streit um das beste Argument.

Neben dem Social Distancing werden auch technische Lösungen diskutiert, um die Pandemie einzudämmen, beispielsweise die Erhebung von Bewegungsprofilen. Welche unerwünschten Folgen müssen wir bei ihrem Einsatz im Auge behalten?

Grunwald: Totalkontrolle wäre aus Sicht mancher Wissenschaftler und Politiker eine schöne technische Lösung zur Überwachung und Isolierung, zum Beispiel auch von Gefährdern und Gefährdeten. Dann könnten die anderen weitgehend normal weiterleben. Dahinter stehen komplexe Abwägungen, für die es nicht einfach eine Bewertung nach richtig oder falsch gibt. Ich halte solche Überlegungen in Notstandszeiten – auch wenn wir dieses Wort nicht verwenden sollen – für legitim, wenn die Maßnahmen hart zweckgebunden und auf ein Minimum beschränkt werden, sowie ihre Durchführung streng überwacht wird. Das können mögliche Übergangslösungen sein, sobald das Social Distancing gelockert wird, um ein Wiederaufflackern der Virusausbreitung zu verhindern.

Die aktuellen politischen und gesellschaftlichen Kraftanstrengungen sind enorm: Ein Vorbild für die Bewältigung anderer globaler Herausforderungen wie der Klimakrise?

Grunwald: Die Coronakrise verringert die Umweltverschmutzung, die Wirtschaft runterzufahren, nützt dem Klima. Aber das ist nun wirklich keine Lösung! Ich befürchte, dass das gerade wieder erwachte Problembewusstsein zum Klimawandel erstmal weg ist. Auch einflussreiche Zeitungen schreiben schon, dass angesichts des Virus das Klima vielleicht doch nur ein Scheinproblem sei. Das ist gefährlich, denn das Klimaproblem bleibt und wird sich verschärfen.

Welche Schlüsse sollten wir aus der derzeitigen Situation ziehen? Muss Technologieentwicklung künftig verstärkt auf ihre Resilienz in Krisensituationen ausgerichtet sein?

Grunwald: Unbedingt müssen wir uns unsere krasse Abhängigkeit von Technologien und Wirtschaftsprozessen stärker ins Gedächtnis rufen. Ohne Strom und Internet, ohne globale Lieferketten und Mobilität bricht alles zusammen. Wir haben uns zu sehr daran gewöhnt, dass immer alles funktioniert. Ist ja auch bequem. So wurden auch Studien zu möglichen Virusepidemien weitgehend ignoriert. Wir brauchen viel stärker ein Bewusstsein, dass auch alles anders laufen könnte, auch wenn das unbequem ist und die abendliche Gemütlichkeit auf dem Sofa stört. Wir brauchen Pläne B für den Fall der Fälle. Und wir brauchen Technologien, die nicht alles auf eine Karte setzen. Das kann für Dezentralisierung sprechen, zum Beispiel in der Energiewende oder im Digitalbereich.

Die Expertise von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern hat derzeit einen hohen Stellenwert in der Bevölkerung und großen Einfluss auf politische Entscheidungen. Stehen wir vor grundsätzlichen Veränderungen bei der wissenschaftlichen Beratung von Politik und Gesellschaft?

Grunwald: An der Schnittstelle zwischen Politik und Gesellschaft laufen seit Jahrzehnten Veränderungen. Wissenschaft ist gefragt, steht aber auch unter Legitimationsdruck. Daran ändert die Krise nichts. Wissenschaft steht vielleicht noch ein wenig stärker in der gesellschaftlichen Verantwortung als zuvor. Aber da gehört sie auch hin, und das nicht nur als Virologie, sondern übergreifend.



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