Editorial 15.08.2022, 00:00 Uhr

Magisches Vieleck

Sie hatte den falschen Job gewählt. Das ist schon nach wenigen Sätzen klar, als sie erzählt, dass sie mit Veränderungen per se ein Problem habe.
(Quelle: Tilman Börner)
Viel Veränderung würde es nicht geben in dem Etablissement, in das mich meine Recherche nach dem Menschen hinter dem Typus Entwickler mal wieder geführt hat. Insofern stand es gut um ihre Genesung.
Ursachenanalyse. Was hatte sie dann doch zusammenbrechen lassen?
„Du bekommst den Auftrag, eine Software zu schreiben, die die Digitalisierung im Unternehmen voranbringen soll. Geld und Mittel und Entwicklerkollegen werden bereitgestellt. Die Architektur wird aufgestellt und Teams gebildet.

Doch statt Unterstützung der Kollegen, denen die Software helfen soll, erntest du nur mehr oder weniger verdeckte Bremsversuche.

Das kann ich noch nachvollziehen, denn Veränderungen kosten Kraft. Manche Kollegen sind kurz vor der Rente, die wollen kein neues System mehr oder eines, das sie überflüssig macht“, berichtet sie, immer wieder unterbrochen durch intensives Kneten ihrer Hände.
„Doch auf der anderen Seite kommen permanent neue Anforderungen hinzu. Da fällt dem Vertrieb plötzlich ein, dass er mit diesen Funktionen noch viel schneller auf Kundenwünsche reagieren könnte. Also: Umsetzen, denn da kommt das Geld herein. Gleichzeitig gibt es permanent neue Versionen der verwendeten Bib­liotheken oder gar neue Technologien, die wesentlich besser zu den Anforderungen passen würden“, sagt sie und fährt sich durch das ungekämmte Haar.
„Es gilt also zu evaluieren, umzuprogrammieren und das ganze Projekt kommt genau null Meter voran.“ Die letzten Worte betont sie besonders.
„Ich bin jetzt 34 und die Chance, dass ich die Fertigstellung dieser Software während meines Arbeitslebens erlebe, ist äußerst gering. Und was habe ich dann in meinem Leben geschafft? Ich habe die Veränderung nicht aufgehalten, habe sie aber auch nicht vorangebracht. Ich bin nutzlos …“
Ihre Stimme erstirbt im Wimmern und die Betreuerin, die neben ihr sitzt, tätschelt zur Beruhigung ihren Arm. „Sie ist gefangen – gefangen im magischen Vieleck“, erklärt sie. „Aber sie wird wieder.“
Ich wünsche ihr alles Gute und verlasse tief in Gedanken das Sanatorium für Softwareentwickler: Welche Abhängigkeiten mich wohl in meinem magischen Vieleck daran hindern, alle Ecken gleichzeitig zu erreichen?
Viel Spaß mit der dotnetpro, die Ihnen zeigt, welche neuen Möglichkeiten Ihnen .NET 7 mitbringt.
Tilman Börner
Chefredakteur dotnetpro
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