Editorial 16.03.2020, 00:00 Uhr

Starr war gestern

Die Atmosphäre war bedrückend wie jedes Mal, wenn ich Patienten in dieser Einrichtung nach ihrem Schicksal befragte.
(Quelle: Sebastian Scharnagl)
Bernd Holleber saß wie ein Häuflein Elend vor mir. Er seufzte tief, bevor er ­leise zu sprechen begann. „Ich wollte endlich Statik. Ein Gebäude fertigstellen, wie die Kollegen Bauingenieure das tun. Einmal etwas zu Ende bringen und einen ­Haken dahinter machen können.“
Aber es war ihm nicht vergönnt. Als Junior Software Engineer war er sowieso der Depp vom Dienst und musste jeden Mist umsetzen. Irgendwelche CSV-Importfilter schreiben oder dem Kunden Support leisten.
Große Hoffnungen setzte Holleber deshalb in seine Beförderung zum Senior Software Engineer. Endlich würde er den anderen sagen können, was sie zu tun hätten. Die Ernüchterung folgte auf dem Fuße: Jetzt waren es Softwarearchitekt und der Product Owner, die alles besser wussten und permanent Änderungen an der Software wollten.
Nach ein paar Jahren mit begleitender Psychotherapie sah er seine große Chance in einer freien Stelle als Softwarearchitekt.
Die erste Zeit ging auch alles gut und Holleber hatte Phasen des Glücks, wenn er die Architektur einer Anwendung fertiggestellt hatte.
Doch dann kam der Wandel hin zu agil und nichts war mehr vor der Veränderung sicher. Nicht einmal mehr die Architektur. „Als die erste Veränderung einer Anwendung vom Monotlithen hin zu Microservices gefordert wurde, brach ich zusammen und kam erst in diesem Etablissement wieder zu mir“, bekannte Holleber. In der Selbsthilfegruppe derer, die Probleme mit Veränderungen haben, gehörte er zu denen, die schon recht weit waren. Inzwischen machte es ihm nichts mehr aus, jeden Tag auf einem anderen Stuhl zu sitzen. Wenn der positive Trend anhielte, so die Heimleitung, dürfe er bald wieder raus. Dann würde er sich aber eine Anstellung suchen, bei der es kaum Veränderungen gebe. „Heimlich lerne ich Cobol“, flüsterte mir Holleber noch zu, bevor er den Raum verließ. Ich wünschte ihm im Geiste alles Gute.
Viel Spaß mit der dotnetpro!
Tilman Börner
Chefredakteur dotnetpro
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