Konferenz der anderen Art 20.04.2017, 00:00 Uhr

Rund um die Uhr schlank

Über dreihundert Teilnehmer wollten mehr erfahren zum Thema Lean.
Mark Lambertz präsentiert das Viable System Model als Analysewerkzeug zur Beurteilung der (Über-)Lebensfähigkeit von Organisationen. Einer der theoretischen Vorträge.
Das war echte Druckbetankung: 30 Stunden Nonstop-Konferenzprogramm auf der LeanAroundTheClock (kurz LATC2017, www.leanaroundthe clock.de) im Baden-Württembergischen Mannheim am 9. und 10. Februar 2017.
Der Name war Programm: von 10.00 Uhr am Donnerstag bis 17.30 Uhr am Freitag bot die Konferenz wahrlich pausenlos Vorträge rund um das Thema Lean – also Lean Production, Lean Administration, Lean Organization und was noch dazugehört.
Um etwas genauer zu sein: In der Nacht gab es eine Ruhephase von 2.00 Uhr bis 5.30 Uhr. Die war aber nicht einnickenden Referenten oder knappem Budget geschuldet, sondern schwächelnden Teilnehmern, die nach dem grandiosen Konzert der Supertramp Tribute Band Century’s Crime (www.centu ryscrime.com) einfach mal wieder runterkommen mussten.
Lean, das ist der andere Trend neben Agile. Auf knappe Formeln reduziert, geht es bei Agile um kundenorientierte inkrementelle Produktion in Selbstorganisation. Bei Lean (www.lean.org/WhatsLean) hingegen liegt der Fokus auf der Schlankheit des Prozesses; die Produktion soll flüssig laufen. Das ist der Fall, wenn Sie verschwendungsfrei beziehungsweise -arm ist. Waste (dt. Abfall oder eben Verschwendung) ist das, wonach Freunde des Lean ständig auf der Suche sind, um es zu eliminieren. Weniger Verschwendung bedeutet mehr Ressourcen für das wirklich Wichtige: die Herstellung von Wert für den Kunden. Wie bei Agile gehört dazu natürlich auch der Anspruch ständiger Verbesserung, Stichwort Kaizen (https://de.wikipedia.org/wiki/Kaizen).
Zu der Konferenz hatten meine Freundin und ich mich angemeldet, weil unser beider Arbeit darin besteht, unseren Kunden zu helfen, sich mehr auf das Wesentliche zu konzentrieren. Sie optimiert Abläufe in Büros, ich vermittle mit der CCD School in Trainings eine Methode, um Clean Code zu produzieren.
Beides hat mit der Reduktion von Verschwendung zu tun. Ein simples Beispiel: Jeder Bug führt dazu, dass Sie Zeit verschwenden. Zuerst haben Sie das Falsche getan und ihn eingebaut, dann müssen Sie nochmals Zeit für den Fix aufwenden. Zusätzlich fällt Aufwand für Support an, vom Vertrauensverlust beim Kunden ganz zu schweigen. Mangelnde Korrektheit kostet viel, viel Geld – das soll (zumindest zum Teil) durch Clean-Code-Praktiken eingespart werden.
Die Konferenz hat sich des Themas Lean in knapp 30 Vorträgen aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln angenommen. Da gab es Erfahrungsberichte genauso wie HowTos oder theoretische Betrachtungen. Es schien, dass am Ende nicht wirklich wichtig war, wie eng die Referenten das Thema Lean sahen, solange sie mit Enthusiasmus etwas berichten konnten, was das Publikum zum Denken und Ausprobieren anregte. Gemeinsam war vielmehr allen, dass sie Organisationen und das Leben darin verbessern wollen. Die einen haben dazu Kernpraktiken des Lean demonstriert, die anderen für mehr Augenhöhe plädiert (http://augenhoehe-film.de) oder dafür geworben, Unternehmen als überlebenswillige soziale Organismen zu betrachten.

Bunte Mischung

Alles in allem war die Mischung der Vortragsthemen und Vortragenden angenehm bunt – auch in der Form. Die meisten Beiträge waren Vorträge der üblichen Art, doch es gab auch Live-Experimente auf der Bühne oder eine Ad-hoc-Therapiesitzung zu einer Unternehmensproblemstellung aus dem Publikum. Sogar eine Liveschaltung nach Seattle war Teil der Konferenz – zu einem Referenten, der wegen Krankheit die Reise nicht hatte antreten können, aber vom Krankenbett aus beitragen wollte.
Insgesamt hat der LeanAroundTheClock-Veranstalter Learning Factory (http://learning-factory.org) keine Kosten und Mühen gescheut, allen Willigen Zugang zu den Konferenzinhalten zu bieten. Der Eintrittspreis lag bei 150 Euro für beide Tage. 309 Teilnehmer haben sich das gegönnt. Doch wer nicht kommen konnte oder wollte, der hatte die Chance, alles im Livestream zu verfolgen. Inzwischen sind alle Vorträge auch als Videos kostenlos online.
Dem Veranstalter, allen voran dem Initiator Ralf Volkmer, geht es mit LeanAroundTheClock darum, das Thema, für das er steht, für das er brennt, wirklich jedem zugänglich zu machen und eine lebendige Community aufzubauen. Dass viel Herzblut in der Konferenz steckt, war in jeder Minute zu spüren. Ralf war unermüdlich als Moderator im Einsatz – bis er am Ende den Staffelstab an Mario Buchinger übergab. Eine schöne Geste der Nachfolgereinführung.
Im 45-Minuten-Takt ging es von Thema zu Thema. Ganz bewusst wurde keine Pause gelassen. Ganz bewusst gab es auch nur eine Bühne. Der im Lean so wichtige Work-in-Progress (WIP) war damit auf Eins begrenzt. Niemand musste sich mit Raumwechseln aufhalten, jeder konnte allerdings zur Seite an die Bar oder in die Ausstellung treten, um mal Luft zu holen.
Hier und da hat sich dann aber doch gezeigt, dass solch schlanke Inhaltsproduktion eine Voraussetzung hat: die Technik muss perfekt funktionieren. Tut sie das mal nicht, kommt der schöne nahtlose Plan in Verzug. Etwas Puffer – scheinbare Verschwendung – ist für flüssige Lieferung also gar nicht schlecht. Er wirkt wie Schmieröl im Motor.
Die alte Feuerwache in Mannheim als Location war in Ordnung, aber verbesserungsfähig. Das Publikum war tief gestaffelt in einem relativ dunklen Raum. Das hat es schwer gemacht, in den hinteren Reihen die Aufmerksamkeit hochzuhalten. Nicht jeder Referent konnte die Entfernten auch gut mit seinem Auftritt erreichen. Dazu kam, dass Pausierende unmittelbar nebenan standen und munter an der Bar oder in der Ausstellung plauderten. Das hat die Zuhörer abgelenkt. Im nächsten Jahr verspricht eine neue Location neues Glück.
Hohe Energiedichte, gute Stimmung, spannende Vorträge: das ruft nach Wiederholung. Im nächsten Jahr bin ich deshalb nicht nur als Zuschauer dabei, sondern auch als Referent. Ich darf schon um 7.30 Uhr am Freitag, den 9. März 2018 die Frühaufsteher bespielen. Aber ich bin guter Dinge, dass ich da nicht auf einsamem Posten stehen werde. In diesem Jahr gab es eine ganze Reihe früher Vögel, die sich dort schon zum Frühstück bei schlanken Vorträgen eingefunden hatten. LATC2018, ich komme. Sie auch?
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