Internet of Things 12.04.2022, 08:25 Uhr

Von Condition Monitoring zur Predictive Maintenance

Wie Unternehmen am besten eigene Lösungen zur Predictive Maintenance bereitstellen.
(Quelle: dotnetpro)
Kosten runter, Umsatz hoch: Unternehmen setzen in ihren Wertschöpfungsketten und Produktionslinien auf maximale Effizienz, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Die dafür nötige Perfektion birgt allerdings auch Risiken. Vor allem was unvorhergesehene Ereignisse betrifft: Kommt es zu einem Maschinenausfall, zieht dieser im schlimmsten Fall einen kompletten Produktionsstillstand und damit hohe Umsatzeinbußen nach sich. Lösungen zur vorausschauenden Wartung (Predictive Maintenance) wirken dem entgegen.
Dr. Sebastian Heger, Solution Specialist bei tresmo, erklärt, wie Unternehmen bei der Konzeption, Erstellung und Pflege ihrer Predictive-Maintenance-Lösung für Kunden vorgehen sollten und wie sie selbst einen Mehrwert aus den Daten gewinnen, die ein solches System sammelt.

Predictive Maintenance im Vergleich zu anderen Wartungsstrategien

Die Wartung von Anlagen und Maschinen findet in den meisten Betrieben anhand festgelegter Intervalle statt: Sie werden nach einer bestimmten Zeit aus der Produktion genommen, um Wartungsarbeiten durchzuführen. Diese Zeiträume werden meistens auf Basis von historischen Daten und Erfahrungswerten festgelegt. Die vorausschauende Wartung hingegen nutzt als Grundlage Echtzeitdaten, um zu errechnen, wann der Defekt einer Komponente oder Maschine wahrscheinlich eintritt. Auffälligkeiten im Betrieb können beispielsweise auf einen nahenden Defekt eines Teils hinweisen.
Um dies zu realisieren, kommen prädikative Analysemethoden zum Einsatz. Ausgangsbasis sind im industriellen Kontext historische Prozess- und Maschinendaten. Durch eine Reihe an Datenanalysen und statistischen Methoden werden Vorhersagemodelle trainiert. Meist werden dazu komplexe Ansätze unter dem Sammelbegriff “Machine Learning” genutzt, um Muster und Zusammenhänge in umfangreichen Datenmodellen zu erfassen. Hier gibt es zwei unterschiedliche Ansätze:
  • Supervised Learning beinhaltet Algorithmen, die auf Basis historischer Trainingsdaten mit zusammenhängenden Ein- und Ausgabedaten Assoziationen erlernen. Die Lösung prüft danach, ähnlich einem Lehrer, die getroffenen Vorhersagen anhand der erwarteten Ausgaben im Trainingsdatensatz. Der Algorithmus entwickelt das Vorhersagemodell so lange weiter, bis eine möglichst hohe Prognosegüte erreicht wird. Die Güte ist dabei immer abhängig von der Eignung und Qualität der Ein- und Ausgabedaten sowie des Algorithmus-Ansatzes.
  • Unsupervised Learning beschreibt im Gegensatz dazu Algorithmen, die auf Basis von Eingabedaten Kategorien und Zusammenhänge ermitteln. Daten werden dabei in Kategorien eingeteilt, die unterschiedlichen Mustern folgen. Die Interpretation der Kategorien obliegt anschließend einer Analystin beziehungsweise einem Analysten. Der Ansatz erlaubt jedoch auch vorab unbekannte Zusammenhänge erschließen zu können.
Steht das Vorhersagemodell, können Entscheidungsmodelle implementiert werden. Solche Modelle bilden Geschäftsregeln ab und lösen Aktionen auf Basis der Prognoseergebnisse aus. Dabei können die Entscheidungsmodelle so konzipiert werden, dass bestimmte Entscheidungen tendenziell häufiger oder seltener getroffen werden.

Vorteile für Kunden und Anbieter

Unternehmen profitieren beim Einsatz einer Predictive-Maintenance-Lösung vor allem von niedrigeren Wartungskosten bei höherer Zuverlässigkeit der Maschinen. Gleichzeitig lassen sich aufgrund der gesunkenen Ausfallwahrscheinlichkeit höhere Produktionsvolumina realisieren – und damit höhere Umsätze erwirtschaften. Anstatt Wartungsintervalle anhand historischer Daten und Erfahrungswerte festzulegen, findet die Instandhaltung entsprechend des Zustands der Anlagen statt. Existiert erst einmal eine gut abgestimmte und integrierte Lösung, benötigt der Produktionsbetrieb kein großes Lager an Ersatzteilen mehr: Anbahnende defekte Komponenten können rechtzeitig erkannt und Ersatzteile bedarfsgerecht bestellt werden.
Darüber hinaus profitieren auch die Maschinenanbieter von Predictive-Maintenance-Lösungen. Beispielsweise können Maschinenhersteller ihre Produkte um eine entsprechende Leistung erweitern und so als innovativ und zukunftsfähig am Markt auftreten. Doch auch jenseits des Marketings ergeben sich Vorteile: Hersteller kennen ihre Maschinen besser als Kundenunternehmen oder etwaige Drittanbieter. Ist die Lösung schließlich in mehreren Umgebungen im Einsatz, kann sie auf große Mengen an Daten zugreifen und zu detaillierten Vorhersagen kommen – bei gleichzeitiger Verringerung der Fehlerquote.

Wie Anbieter Predictive Maintenance richtig umsetzen

Predictive Maintenance ist ein komplexes Thema, doch sie bietet schon in frühen Phasen Mehrwerte für das eigene Unternehmen und für Kundenbetriebe. Bei der Entwicklung der Lösung können sich Maschinen- und Anlagenhersteller an drei Phasen orientieren:
1. Connect
In der ersten Phase geht es darum, die Maschinen und Geräte zu vernetzen, welche die Lösung später überwachen soll. Am Ende der Connect-Phase steht eine erste App für die Zustandsüberwachung (Condition Monitoring), mit der die Mitarbeiter:innen des eigenen Unternehmens oder des Kundenteams den Betriebszustand der Maschinen einsehen können.
Moderne Produktionsmaschinen und -anlagen besitzen bereits geeignete Sensorik und lassen sich über das IoT leicht vernetzen. Ältere Geräte können meist nachgerüstet werden. Eine IoT-Plattform empfängt die so aufgenommenen Daten und übernimmt zusätzlich das Geräte- sowie Nutzermanagement. Die Cloud übernimmt auch die Speicherung, Verarbeitung und Bereitstellung der Daten für weiterführende Anwendungen, wie Condition-Monitoring.
Die Condition-Monitoring-Anwendung greift auf die gesammelten und weiterverarbeiteten Daten zu und visualisiert sie für die User. Zugleich bildet ein solches System die Basis für die Predictive-Maintenance-Lösung.
2. Integrate
In der zweiten Phase wird die Condition-Monitoring-Lösung in andere Anwendungslandschaften integriert. Je nach Komplexität einer Anlage müssen gegebenenfalls verschiedene Komponenten miteinander vernetzt werden, um Zugriff auf alle relevanten Datenquellen sowie beispielsweise ERP- oder CRM-Systeme zu erlangen. Auch eine Integration der Lösung in übergeordnete Plattformen und Produktportfolios kann sinnvoll sein. Spätestens hier ergibt es Sinn, die Lösung auch in die Unternehmensumgebungen einzubinden, die später von einer vorausschauenden Wartung profitieren sollen.
3. Automate
Im dritten und letzten Schritt werden Vorhersage- und Entscheidungsmodelle entwickelt. Die in der Connect-Phase eingeführte Condition-Monitoring-Lösung sammelt Daten und ermöglicht Signal- und Schwellwertanalysen, die Anomalien sowie andere Ereignisse sichtbar machen und nach ihrer Kritikalität klassifizieren. Mit Hilfe der gewonnenen Daten lassen sich die Wahrscheinlichkeit von Ausfällen bestimmter Komponenten berechnen. Bei der Realisierung sollten besonders am Anfang einfache Modelle mit wenigen Variablen erstellt werden, um die Komplexität niedrig zu halten und schnell erste Ergebnisse vorweisen zu können. Anschließend kann die Präzision der Prognosen gesteigert und beispielsweise Algorithmen mit künstlicher Intelligenz implementiert werden. Liefert die vorausschauende Wartung erst einmal zuverlässige Ergebnisse, geht es an die Definition des anschließenden Prozesses: Was passiert nach einer Vorhersage? Dazu kann die Überprüfung der Maschine durch einen Servicemitarbeiter ebenso gehören wie der Austausch eines Verschleißteils. Besonders zu Beginn sollte immer ein Mensch Ergebnisse und daraus resultierende Entscheidungen überprüfen bis die Prognosegüte optimal ist und alleine arbeiten kann.

Fazit

Die vorausschauende Instandhaltung hat großes Potenzial für Unternehmen – in der eigenen Produktion und auch als innovative Lösung für das jeweilige Produkt. Die Antizipation (unerwarteter) Ereignisse im Rahmen einer Predictive-Maintenance-Lösung ermöglicht Kosteneinsparungen bei gleichzeitiger Verbesserung der Qualität. Gleichzeitig sind solche Systeme allerdings hochkomplex und ihre Umsetzung stellt sich entsprechend schwierig dar.
Die Anzahl von Anbietern ist groß, die passende Tools für viele Anforderung anbieten. Die Nutzung bereits existierender Lösungen lässt Unternehmen hohe Entwicklungskosten einsparen und schnell zu ersten vorzeigbaren Ergebnissen kommen. Doch die schiere Masse an Angeboten und Möglichkeiten kann verwirrend sein. Viele Unternehmen setzen deshalb bei der Umsetzung auf Partner mit entsprechenden Kompetenzen und Marktüberblick. Die Unabhängigkeit ist hierbei äußerst wichtig: Reine IoT-Dienstleistungen können sowohl Überblick als auch Erfahrung einbringen und zur idealen Lösung beraten.
Quelle: Dr. Sebastian Heger
 
Dr. Sebastian Heger begleitet als Solution Specialist bei tresmo Unternehmen im Zuge der Konzeption, Umsetzung und Etablierung zukunftsfähiger IoT-, Cloud- und App-Lösungen. Zuvor sammelte er als Projekt- und Teamleiter bei der Projektgruppe Wirtschaftsinformatik des Fraunhofer-Instituts für Angewandte Informationstechnik FIT weitreichende Erfahrungen an der Schnittstelle von Forschung und Praxis. Sebastian Heger hat Wirtschaftsinformatik an der Universität Augsburg studiert und zur Gestaltung soziotechnischer Informationssysteme promoviert.



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