Petersberger Gespräche 01.10.2018, 09:15 Uhr

KI-Systeme: So intelligent wie ein Schreibtisch

Am 15. September 2018, fanden die 13. Petersberger Gespräche in der Villa Hammerschmidt in Bonn statt. Das diesjährige Motto: „Mensch und Maschine. Oder der smarte Sprung nach vorne“ markierte die thematischen Schwerpunkte des Kongresses.
Schon in seinen Begrüßungsworten setzte Gastgeber und Vorstandsvorsitzender der Comma Soft AG, Stephan Huthmacher, den konstruktiven, nach vorne gerichteten Grundakkord. So wies er darauf hin, dass wir in Deutschland leider dazu neigen, allzu schnell nach der Technologiefolgenkostenabschätzung zu fragen. Der Comma-CEO drehte den Spieß um und priorisierte die Frage, wie hoch wohl die „TechnologieNichteinsatz-Folgekosten“, für unsere Wirtschaft, für den Wohlstand und sozialen Frieden innerhalb der Gesellschaft wären. Huthmacher forderte einen veränderten Mindset, der zum einen neuen Technologien offen gegenübersteht und zum anderen bereit ist, für die Entwicklung einer Schlüsseltechnologie wie der KI entsprechende Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Gute Ideen werden erst dann zu Innovationen, wenn sie sich in Produkten niederschlagen. Huthmacher regte daher an, die Zusammenarbeit von Forschungsuniversitäten mit ausgewählten Unternehmen aus der KI-Branche zu forcieren. So könne gewährleistet werden, dass die Ideen und Visionen der klugen jungen Köpfe in smarte Anwendungen umgesetzt und so schneller auf den Markt gebracht werden. Last but not least hob der Gastgeber die wichtige Rolle von KI als Komplexitätswerkzeug hervor, das vor einigen Jahren noch nicht zur Verfügung stand. Die selbstlernenden, algorithmengesteuerten Systeme bieten eine Chance, Lösungen für hochkomplexe Probleme zu finden wie zum Beispiel Klimawandel, Mobilität, Ernährung oder Umweltschutz. Zum anderen minimieren smarte Assistenten eventuelle Blickverengungen von Managern nach innen und außen und tragen dazu bei, dass bei strategischen Entscheidungen der Fokus geweitet wird.
Zwischen den Begrüßungsworten und der Keynote spannte der Moderator Prof. Heinz-Otto Peitgen in seinem Kurzvortrag einen „Denkrahmen“ auf und ging dabei auf den grundsätzlichen Unterschied zwischen Kausalität und Korrelation ein. Ihn machte er zum Kennzeichen eines „gewaltigen Umbruchs“. Basierend auf diesem Oppositionspaar unterschied er unser altes, auf den „Ursache-Wirkung-Beziehungen“ basierendes naturwissenschaftliches Weltbild von der neuen Zeit, die dabei sei, das alte Paradigma in vielen Bereichen zu ersetzen. Ihr „Markenkern“ ist die „Korrelation“, wie sie zum Beispiel in Mustern sichtbar wird, die intelligente Systeme in Datenpools erkennen. Das neue Weltbild bietet sich nun als ein Geflecht oder Netzwerk von ineinander gewobenen Korrelationen dar. Im Gegensatz zum naturwissenschaftlichen Weltbild, in dem der Disput und die Argumentation zentral war, sei es seiner Meinung nach im auf Korrelationen setzenden Weltbild sehr schwierig bis unmöglich, sachlich zu argumentieren.
Fokus Künstliche Intelligenz
Einen kontroversen Einstieg in die Vorträge und einen furiosen theoretischen Überbau bot die mit „K.I. als Denkmodell“ betitelte Keynote des Bonner Philosophieprofessors Markus Gabriel. In seinem Vortrag setzte sich der Denker prinzipiell mit dem Begriff „Künstliche Intelligenz“ auseinander und verneinte kategorisch, dass sich der Begriff „Intelligenz“ auch auf künstliche Systeme übertragen lässt. Er zeigte auf, dass es sich bei dem, was wir das Denken nennen, um nichts anderes als um einen Sinn handelt. Denken und Intelligenz erfüllen beide eine Funktion innerhalb unserer Umwelt. Weil sie uns helfen, auftretende Probleme besonders schnell zu lösen, dienen sie unserem Überleben als Mensch, also in der Definition des Philosophen, als „das Tier, das keines sein will“. Bezogen auf die KI stellt Gabriel die Frage, wie sich dasjenige technologische Verfahren, das wir KI nennen, zu unserem Denken verhält und antwortet: Wie ein Modell beziehungsweise Karte einer Landschaft zur Landschaft selbst. Ein KI-System sei nur so intelligent wie ein Schreibtisch, nämlich gar nicht – ebenso wenig, wie ein Smartphone smart ist. Allerdings spielen diese und andere Artefakte in unserem Leben eine derart große Rolle, dass sie aus unserer Perspektive erstens beseelt und animistisch aufgeladen und zweitens „zu Denkmaschinen werden, ohne selbst zu denken“. Dies hat auch für die Maschinenethik Konsequenzen zum Beispiel, weil wir uns laut Gabriel von der Vorstellung verabschieden müssen, dass wir Computern oder zum Beispiel autonomen Autos so etwas wie Ethik einprogrammieren können. Dies können wir auch schon deswegen nicht, „weil wir unsere eigene Ethik nicht kennen – wir wissen im Übrigen nicht, was sie ist“, so der Philosoph in einer seiner Thesen, mit der er eine der aktuell wichtigsten Fragen an die automatisierten Entscheidungssysteme tangiert.
Der in München an der TU lehrende Prof. Alois Knoll spannte mit seinem Human Brain Project und den Einblicken in den neuen, interdisziplinären Fachbereich Neurorobotik einen nicht nur technologischen, sondern auch europäischen Horizont auf. Er erinnerte daran, dass wir in Deutschland und Europa zwar gut aufgestellt seien, doch oftmals nur die Pionierarbeit für Anwendungen geleistet hätten, die nicht bei uns, sondern in den USA in marktgängige Produkte umgesetzt wurden. Darüber hinaus forderte er, dass wir auf europäischer Ebene unbedingt zeitnah die geeignete „Infrastruktur zur Forschung bereitstellen“ müssen - mit dem Hinweis auf das CERN in Genf als erfolgreiches europäisches Referenzprojekt.
Besonders in extrem datenintensiven Anwendungen wie den Lebenswissenschaften erweist sich die KI als Erkenntnis-Turbo. Darauf wies der Mediziner und Genomik-Professor Joachim Schultze in seinem Vortrag „Quo vadis: Künstliche Intelligenz in Medizin und Lebenswissenschaften“ hin. Die sogenannte 2. Genomikrevolution mit ihren neuen Möglichkeiten auf Basis der Einzelgenomik zum Beispiel personalisierte Heilmittel zu erforschen, wären ohne die Fähigkeiten der KI nicht denkbar. Die Visionen des Forschers reichen noch weiter, indem er fragt: „Was wäre, wenn wir von jeder Zelle das Genom, das Transkriptom, das Epigenom und noch viele Parameter mehr analysieren könnten?“ Schultze stellte auch die Entwicklungssprünge vor, die mit fortgeschrittener Hardware möglich seien, so mit dem neuen Memory-Driven-Computing. Der durch diesen Ansatz ermöglichte ungeheure Leistungsschub steigert die Prozessgenerierung genetischer Daten um das 111-fache. Konkret senke dies die Berechnungszeit von 22 Minuten auf 13 Sekunden - bei gleichzeitiger Reduzierung des Energieverbrauchs um 60 Prozent.
Videoaufzeichnungen der Petersberger Gespräche finden Sie in der Videothek.


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