Digitalisierung 29.09.2022, 15:38 Uhr

Kleine Lösungen mit großer Anbindung

Viele Digitalisierungsbemühungen enden in Stückwerk, weil Fachbereiche lediglich ihre eigenen Abläufe oder Einzelaufgaben im Blick haben. Low-Code hilft, diese zu verbinden und Prozesse bereichsübergreifend zu digitalisieren.
(Quelle: Pegasystems)
Neben großen, strategischen Digitalisierungsprojekten finden in Unternehmen noch zahlreiche weitere Digitalisierungsmaßnahmen statt. Häufig werden diese von Fachbereichen vorangetrieben, die schnelle und einfache Lösungen für ihre Probleme und Herausforderungen im Tagesgeschäft suchen. Mächtige Anwendungen mit riesigem Funktionsumfang brauchen sie dafür nicht – in der Regel reichen kleine Produktivitätstools und Cloud-Services, die sehr spezifische Aufgaben übernehmen.
Die digitalen Helfer analysieren Daten und erstellen Reports, machen Formulare online oder via App zugänglich und helfen bei der Koordination und Automatisierung von Aufgaben. Damit entlasten sie Mitarbeiter und verhindern Fehler, die sich gerade bei komplexen oder repetitiven Aufgaben einschleichen können. Zugleich entsteht aber auch eine Vielfalt an Lösungen, die nur schlecht zueinander passt und beispielsweise manuelle Datenübertragungen notwendig macht oder für zusätzlichen Abstimmungsaufwand sorgt.
Letztlich haben die Einzellösungen durchaus ihren Wert, weil sie den Fachbereichen schnell helfen, doch sie erschweren die Ende-zu-Ende-Digitalisierung von Prozessen, von der ein Unternehmen viel mehr profitieren würde. Nicht nur, weil sich mehr automatisieren lässt und Daten bereichsübergreifend fließen können, sodass beispielsweise Bearbeitungszeiten sinken oder sich der Status einer Anfrage jederzeit einsehen lässt. Vielmehr bietet der Blick auf den vollständigen Prozess die Chance, diesen insgesamt zu verbessern und damit den Kundennutzen zu erhöhen. Werden nur die bestehenden Teilprozesse digital abgebildet., fällt es hingegen schwer, den Gesamtzusammenhang zu verstehen und das Prozessergebnis zu verbessern.

Das Prozessgeflecht entwirren

Häufig denken die einzelnen Abteilungen bereits in Prozessen, übersehen jedoch, wie weit diese tatsächlich reichen und wie sie miteinander verknüpft sind. Ein Einstellungsprozess zum Beispiel erstreckt sich als komplexes Geflecht verschiedener Vorgänge vom Personalbedarf meldenden Bereich über die Personalabteilung und den Betriebsrat bis hin zu Buchhaltung und IT-Abteilung. Er umfasst viele spezialisierte Anwendungen, die untereinander kaum verbunden sind und deshalb Rückfragen, Freigabeanforderungen und Datenaustausche via E-Mail, Fileshares und Excel-Tabellen erfordern.
Die Kunst besteht darin, alle Teilprozesse sowie die beteiligten Personen, involvierten Systeme und benötigten Daten zu identifizieren, die zu einem Ende-zu-Ende-Prozess gehören. Diese Teilprozesse müssen Unternehmen dann so digitalisieren, dass sie sich gut verknüpfen lassen und viele Einzelaufgaben weitgehend automatisiert zusammenhängen. Gelingt das, brauchen sich die Mitarbeiter künftig nicht mehr um die Organisation von Prozessschritten zu kümmern und können sich auf fachliche Aufgaben wie die Formulierung der Stellenausschreibung, die Zu- oder Absage nach einem Vorstellungsgespräch oder die Freigabe des Gehaltswunsches konzentrieren. Das Unternehmen wiederum profitiert von kurzen Bearbeitungszeiten, hoher Transparenz und niedrigen Kosten.

Low-Code heißt nicht Low-End

Als Werkzeug für die Digitalisierung von Prozessen haben sich Low-Code-Plattformen etabliert. Mit ihren visuellen Modellierungstools und vorgefertigten Software-Bausteinen erlauben sie eine schnelle und kostengünstige Entwicklung von hilfreichen Business-Anwendungen und Workflow-Automatisierungen. Deren einzelne Komponenten lassen sich gut wiederverwenden, was den Aufwand künftiger Entwicklungen weiter reduziert und einheitliche Oberflächen und eine konsistente Benutzerführung garantiert. Dadurch finden sich die Mitarbeiter schnell in den neuen Tools zurecht und die Einarbeitung fällt ihnen leicht.
Bisweilen wird Low-Code zwar unterstellt, nur für Low-End-Anwendungsfälle zu taugen, doch mit den richtigen Plattformen lassen sich leistungsstarke und skalierbare Anwendungen auf Enterprise-Niveau erstellen. Dafür sorgen einerseits integrierte Test- und Prüfroutinen, die unter anderem Sicherheitsmängel, Performance-Engpässe und Stabilitätsprobleme aufspüren. Andererseits kombinieren gute Plattformen die Low-Code-Fähigkeiten mit einem Case Management, das sämtliche zu einem Prozess gehörenden Systeme, Daten, Bots, Workflows und Mitarbeiter zu einem digitalen Vorgang verbindet. Mithilfe von Regelwerken und KI-Funktionen vermag es alle Prozessschritte zu überwachen und zu steuern und Mitarbeiter beispielsweise durch Datenprüfungen bei Eingaben oder Handlungsempfehlungen bei Entscheidungen zu unterstützen.

Das Case Management macht den Unterschied

Low-Code eignet sich perfekt, um die Digitalisierung eines Ende-zu-Ende-Prozesses schrittweise anzugehen. In überschaubaren Projekten können Unternehmen wertvolle Erfahrung im Umgang mit der neuen Plattform sammeln und schnell Lösungen erstellen, die Fachbereichen helfen und am Ende garantiert zueinander passen. An den entstehenden digitalen Ende-zu-Ende-Prozess lassen sich dann bei Bedarf leichter weitere Produktivitätstools, Eingabehilfen oder Workflow-Steuerungen anbauen, als viele separat eingeführte Einzellösungen später zu verbinden.
Im Prinzip ist Low-Code der Klebstoff, der neue Anwendungen, Legacy-Applikationen und selbst sehr spezialisierte Tools und Cloud-Services zusammenhält. Die gesamte Intelligenz – von der Prozesssteuerung über Compliance- und gesetzliche Vorgaben bis hin zu fachbereichsspezifischen Regeln – steckt dabei nicht in den einzelnen Apps und Bots, sondern im Case Management. Dort lässt sie sich zentral pflegen und entlang der gesamten Prozesskette einsetzen, sodass beispielsweise Chatbots, Mail-Bots und Sprach-Bots im Kundenservice eine konsistente User Experience bieten. Der Kunde kann den Kommunikationskanal jederzeit wechseln – der nächste Bot kennt den genauen Bearbeitungsstand seiner Anfrage, weil im Hintergrund das Case Management die Fäden zieht.

Fachbereiche werden unabhängiger

Die Trennung der Regelwerke von den Anwendungen erlaubt es Fachbereichen, ihre fachspezifischen Regeln selbst anzupassen, wenn sich geschäftliche Anforderungen oder Gesetze ändern. Das macht sie unabhängiger von IT- und Entwicklungsabteilungen und befreit diese von Tätigkeiten, die eigentlich nichts mit dem Betrieb und der Entwicklung von Anwendungen zu tun haben. Damit schonen Unternehmen ihre üblicherweise knappen IT- und Entwicklungsressourcen und können diese zielgerichteter in strategischen Digitalisierungsprojekten einsetzen.
Zudem fördert Low-Code mit seinen kurzen iterativen Entwicklungszyklen die agile und bereichsübergreifende Zusammenarbeit im Unternehmen. Entwickler setzen die Anforderungen von Fachbereichen zügig und in enger Abstimmung mit diesen um – oft in Minimum Lovable Products (MLP), die bereits sehr früh in der Entwicklungsphase einen guten Eindruck davon vermitteln, was die Anwendung später kann und wie sie funktionieren wird. Regelmäßige Tests und Feedbackrunden stellen sicher, dass beispielsweise Schwächen in der User Journey schnell auffallen und die Anwendung am Ende optimal zu den Bedürfnissen des Fachbereichs passt.

Nicht mit Citizen-Developer-Projekten starten

Eine der Stärken von Low-Code ist es, Mitarbeiter aus den Fachbereichen direkt in die Entwicklung mit einzubeziehen. Als Citizen Developer können sie sogar selbst Anwendungen aus den verfügbaren Software-Bausteinen zusammenfügen, ganz ohne Programmierkenntnisse. Allerdings sollten Unternehmen nicht mit solchen Citizen-Developer-Projekten starten, sondern sich für die Etablierung einer Low-Code-Plattform etwas ambitioniertere Projekte suchen. Diese stellen zum einen sicher, dass tatsächlich bereichsübergreifend ein Ende-zu-Ende-Prozess digitalisiert wird und die Governance nicht auf der Strecke bleibt – dazu zählen alle Fragen rund um Sicherheit, Datenschutz, Compliance, Berechtigungen und Integrationen. Zum anderen können sich die beteiligten Fachbereiche für ein solches Projekt leichter die Unterstützung des Managements und die benötigten Budgets sichern.
Später lassen sich engagierte Mitarbeiter aus den Fachbereichen immer noch zu Citizen-Developern machen. Unternehmen müssen sie allerdings mit Schulungen auf die neuen Aufgaben vorbereiten und ihnen Freiräume im Tagesgeschäft verschaffen. Ideal wäre es, sie immer weiter zu Coaches und Mentoren aufzubauen, die ihre Expertise in andere Fachbereiche tragen und dort bei der Digitalisierung von weiteren Ende-zu-Ende-Prozessen unterstützen.
Quelle: Florian Binder
 Florian Binder schloss 2005 sein Studium als Diplom(BA)-Wirtschaftsinformatiker ab. Seit 2012 ist er Principal Solution Consultant bei Pegasystems und für den Bereich Low-Code Prozessdigitalisierung, Intelligent Automation, Robotic Process Automation und Customer Relationship zuständig.



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